Kanban: Mehr Fluss, weniger Feuer
Was tust du, wenn alles gleichzeitig läuft – aber nichts wirklich fertig wird?
Kanban ist kein Tool, sondern ein Prinzip: Arbeit sichtbar machen, Engpässe erkennen, Fluss verbessern. Es hilft Teams, Komplexität zu meistern, statt im Multitasking zu ersticken.
Warum ist Kanban für dich relevant?
Viele Teams sind überlastet, ohne es zu merken. Aufgaben stapeln sich, Prioritäten wechseln täglich, es fehlt an Klarheit. Kanban schafft Transparenz: Wer macht was? Woran arbeiten wir wirklich? Was blockiert?
Der Nutzen: weniger Chaos, mehr Verbindlichkeit, bessere Steuerbarkeit.
Die zentralen Prinzipien (Kanban Method)
- Visualisiere die Arbeit: Aufgaben, Status, Blocker sichtbar machen
- Begrenze Work in Progress (WIP): Nicht alles gleichzeitig anfangen
- Steuere den Fluss: Fokus auf Durchsatz statt Auslastung
- Mache Regeln explizit: Klarheit über Prozesse und Zuständigkeiten
- Führe Feedbackschleifen ein: Lernen durch Regelmäßigkeit
- Verbessere evolutionär: Kontinuierliches Lernen durch kleine Experimente
Diese Prinzipien basieren auf dem Kanban Maturity Model (KMM), das Organisationen beim Aufbau belastbarer und adaptiver Struktururen unterstützt – von chaotisch bis strategisch antizipierend.
Kanban ist nicht:
- eine Methode für Entwicklungsteams allein
- ein digitales Board mit bunten Karten
- Scrum ohne Sprints
- ein Überwachungstool
Kanban ist ein System zur Steuerung von Wissensarbeit. Es funktioniert in Teams, Abteilungen, im Portfolio oder auf Organisationsebene.
Von Toyota zur Wissensarbeit: Die Evolution eines Systems
Kanban stammt ursprünglich aus der Toyota-Produktion der 1940er Jahre – ein Pull-System zur bedarfsgerechten Fertigung. Taiichi Ōno entwickelte es als Teil des Toyota-Produktionssystems, um Verschwendung zu eliminieren und Fluss zu optimieren.
"Das Ziel von Kanban ist es nicht, die Auslastung der Mitarbeiter zu maximieren, sondern den Durchsatz des Systems zu optimieren." - David J. Anderson
Heute überträgt die Kanban Method diese Prinzipien auf Wissensarbeit: Statt Bauteile steuern wir Aufgaben, statt Fließbänder optimieren wir Workflows, statt Lagerbestände begrenzen wir Work in Progress.
Die Kanban-Denkweise: Pull statt Push & Stop Starting!
Pull statt Push: Lass die Arbeit zu dir kommen
Das fundamentalste Prinzip von Kanban ist der Wechsel von einem Push-System zu einem Pull-System:
Push-System (traditionell):
- Aufgaben werden zugewiesen, wenn sie anfallen
- Teams werden mit Arbeit "gefüttert"
- Überlastung und Multitasking entstehen
- Engpässe werden versteckt
Pull-System (Kanban):
- Aufgaben werden "gezogen", wenn Kapazität frei wird
- Teams entscheiden selbst, was als nächstes bearbeitet wird
- WIP-Limits verhindern Überlastung
- Engpässe werden sofort sichtbar
Praktisch bedeutet das: Statt zu sagen "Du bekommst diese 5 neuen Aufgaben" sagst du "Nimm dir die nächste Aufgabe, wenn du Kapazität hast."
Start Stopping, Stop Starting: Der Fokus-Shift
Das vielleicht wichtigste Mindset-Change in Kanban:
Stop Starting = Höre auf, immer neue Aufgaben zu beginnen Start Stopping = Fange an, angefangene Aufgaben zu Ende zu bringen
Warum das so kraftvoll ist:
- Multitasking reduziert die Produktivität um bis zu 40%
- Jeder Task-Switch kostet 23 Minuten Fokus-Zeit
- Unfertige Arbeit bindet mentale Kapazität
- Fertiggestellte Aufgaben bringen sofort Wertschöpfung
Deine tägliche Frage sollte sein: "Wie kann ich helfen, diese angefangene Aufgabe fertigzustellen?" statt "Welche neue Aufgabe kann ich anfangen?"
Flight Levels: Wirkung auf allen Ebenen
Viele Unternehmen scheitern, weil Kanban nur lokal eingeführt wird. Mit dem Konzept der Flight Levels von Klaus Leopold lässt sich Kanban skalieren:
- Flight Level 1: Operative Team-Ebene – Fokus auf Aufgabenfluss und Blocker
- Flight Level 2: Koordination über Teams hinweg – Synchronisation und Abhängigkeiten
- Flight Level 3: Strategische Steuerung auf Portfolioebene – Wirkung, Priorisierung, Strategie-Umsetzung
Erst durch diese Verknüpfung entsteht echte Wirkung im System. Strategie wird operativ wirksam, und operative Probleme werden strategisch sichtbar.
Dein Kanban-Board: Vom Chaos zur Klarheit
Board-Strukturen für verschiedene Kontexte
Je nach Anwendungsfall benötigst du unterschiedliche Board-Strukturen:
Die häufigsten Board-Fallen und wie du sie vermeidest
Digitale Tools: Deine Kanban-Software-Auswahl
Tool-Vergleich nach Anwendungsfall
Deine Tool-Checkliste
Bevor du dich für ein digitales Board entscheidest, kläre:
- Teamgröße: Unter 5 Personen = einfaches Tool, über 20 = Enterprise-Lösung
- Integrationen: Welche anderen Tools müssen verbunden werden?
- Metriken: Brauchst du Cycle Time, Throughput und Burndown-Charts?
- Mobilität: Arbeitet das Team remote oder unterwegs?
- Compliance: Gibt es Datenschutz- oder Sicherheitsanforderungen?
Typische Fehler bei der Einführung
- Nur Visualisierung, keine Flusssteuerung
- Elektronische Tools ohne echte Veränderung
- Falscher Workflow am Board (Soll statt Ist)
- Fehlende oder starre Regeln
- Keine WIP-Limits oder unklare Serviceklassen
- Fehlende Feedbackzyklen (z. B. Replenishment-Meeting, Delivery Review)
Ein gut gestaltetes Board ersetzt keine Reflexion. Kanban ist kein Tool, sondern ein soziales System.
Kanban in der Transformation Discovery Map
Kanban wirkt in zwei Dimensionen:
- High Impact Teams: Zusammenarbeit, Rollen, Verantwortung, Feedbackkultur
- Dynamik-robuste Organisation: Steuerungsfähigkeit, Transparenz, Engpassmanagement
Typische Hebel:
- Klare Workflows statt stiller Annahmen
- Begrenzung von paralleler Arbeit
- Visualisierung von Blockern und Flaschenhälsen
- Feedbackschleifen und systemische Beobachtung
- Operative Steuerbarkeit in dynamischen Umfeldern
Deine Kanban-Einführung in 4 Phasen
Phase 1: Sichtbar machen (Woche 1-2)
- Starte mit einem einfachen 3-Spalten-Board: Zu tun → In Arbeit → Erledigt
- Sammle alle aktuellen Aufgaben und mache sie sichtbar
- Etabliere tägliche 10-Minuten Stand-ups vor dem Board
Phase 2: Begrenzen (Woche 3-4)
- Führe WIP-Limits ein: Maximal 3 Aufgaben pro Person in In Arbeit
- Beobachte, wo sich Aufgaben stauen
- Diskutiere Blocker und Hindernisse im Team
Phase 3: Optimieren (Monat 2)
- Verfeinere das Board basierend auf deinem tatsächlichen Workflow
- Miss Cycle Time: Wie lange brauchen Aufgaben vom Start bis zur Fertigstellung?
- Führe wöchentliche Flow-Reviews ein
Phase 4: Skalieren (Monat 3+)
- Verbinde mehrere Team-Boards auf Flight Level 2
- Etabliere Service Classes für verschiedene Arbeitstypen
- Implementiere Portfolio-Kanban für strategische Steuerung
Praxisimpulse für sofortigen Erfolg
- Starte physisch: Beginne mit Haftnotizen an der Wand, bevor du digital gehst
- Begrenze radikal: Probiere WIP-Limits aus, die sich zunächst zu niedrig anfühlen
- Miss, was zählt: Durchlaufzeit ist wichtiger als Auslastung
- Halte Daily Flow Meetings: 10 Minuten über Blocker, nicht über To-dos
- Baue Feedbackschleifen auf: Replenishment (Was kommt rein?), Review (Was geht raus?), Retrospektive (Wie verbessern wir uns?)
Fazit: Kanban ist ein Analyse- und Lernsystem
Kanban hilft Teams, sichtbar zu arbeiten, gemeinsam zu steuern und sich kontinuierlich zu verbessern. Es braucht wenig Einstieg und liefert schnell Erkenntnisse. Der wahre Gewinn liegt nicht im Board, sondern in der Kultur, die dadurch entsteht.
Die Stärke von Kanban liegt nicht in der perfekten Methode, sondern im evolutionären Verbesserungsprozess. Du startest dort, wo du bist, und entwickelst das System gemeinsam mit deinem Team weiter.
Dein nächster Schritt: Wie viele Aufgaben sind heute gleichzeitig in Arbeit? Und was passiert, wenn du nur noch drei zulässt?
Drei wegweisende Quellen für deine Kanban-Journey
- David J. Anderson: "Kanban: Successful Evolutionary Change for Your Technology Business" (2010) – Das Grundlagenwerk der Kanban Method für Wissensarbeit
- Klaus Leopold: "Practical Kanban" (2017) – Flight Levels und Skalierung von Kanban auf Unternehmensebene
- Taiichi Ōno: "Das Toyota-Produktionssystem" (1988) – Die historischen Wurzeln und Prinzipien des Pull-Systems