Die Stacey-Matrix – Welche Methode passt zu welchem Problem?

Alexander Sattler
Inhaber
September 12, 2025
Die Stacey-Matrix – Welche Methode passt zu welchem Problem?

Organisationen stehen heute vor einer Vielzahl an Herausforderungen: neue Technologien, komplexe Märkte, kultureller Wandel, wachsende Unsicherheit. Umso wichtiger ist es, nicht einfach zur erstbesten Methode zu greifen, sondern die Passung zwischen Problemtyp und Vorgehen bewusst zu wählen. Die Stacey-Matrix bietet dafür eine einfache, aber wirkungsvolle Orientierung.

Was ist die Stacey-Matrix?

Die Stacey-Matrix wurde von Ralph Douglas Stacey entwickelt, um Entscheidungssituationen in Organisationen besser zu strukturieren. Sie basiert auf zwei Achsen: dem Grad der Einigkeit über das Ziel und dem Grad der Sicherheit über den Weg. Daraus ergeben sich vier Hauptzonen:

1.     Einfach: Ziel und Weg sind klar. Hier funktionieren Standardprozesse, Checklisten und Best Practices.

2.     Kompliziert: Das Ziel ist klar, der Weg erfordert Expertise. Projektmanagement nach Wasserfall oder andere strukturierte Methoden sind sinnvoll.

3.     Komplex: Das Ziel ist nicht eindeutig, der Weg unbekannt. Hier braucht es iteratives Vorgehen, Experimente und Lernen. Methoden wie Design Thinking, Scrum oder Lean Startup entfalten ihre Wirkung.

4.     Chaotisch: Weder Ziel noch Weg sind klar. Handlungsfähigkeit entsteht durch Stabilisierung und Orientierung. Erst dann lassen sich Hypothesen entwickeln.

Die Stärke der Stacey-Matrix liegt in ihrer Klarheit. Sie zwingt nicht zur Methode, sondern hilft, die Situation ehrlich zu beschreiben.

Zone Zielklarheit Lösungsweg Merkmale Passende Methoden Typische Beispiele
Einfach Klar Bekannt Vorhersagbar, standardisierbar Best Practices, Checklisten, SOPs Gehaltsabrechnung, Kundenservice-Standards
Kompliziert Klar Erfordert Expertise Analysierbar, planbar Projektmanagement, Wasserfall, Expertenanalyse Softwareauswahl, Anlagenbau
Komplex Unklar Unbekannt Experimentell, lernintensiv Scrum, Design Thinking, OKR Produktentwicklung, Kulturwandel
Chaotisch Völlig unklar Völlig unbekannt Unvorhersagbar, instabil Schnelle Experimente, Krisenmanagement Marktdisruption, Unternehmenskrisen

Die verschiedenen Problemfelder verstehen

Einfache Herausforderungen: Bewährte Wege gehen

Wenn sowohl Problem als auch Lösung klar definiert sind, bewegen wir uns im Bereich des Einfachen. Hier haben sich über Jahre hinweg Routinen etabliert, die zuverlässig funktionieren. Ein klassisches Beispiel ist die monatliche Gehaltsabrechnung oder die Bearbeitung von Standardkundenanfragen.

In diesem Bereich ist Effizienz der Schlüssel: Prozesse dokumentieren, Checklisten erstellen, Mitarbeiter schulen. Innovation ist weder nötig noch erwünscht – hier zählt die reibungslose Abwicklung.

Komplizierte Aufgaben: Expertise macht den Unterschied

Komplizierte Herausforderungen zeichnen sich dadurch aus, dass das Ziel feststeht, aber der Weg dorthin fachmännische Analyse erfordert. Denken Sie an die Planung einer neuen Produktionslinie oder die Auswahl einer Unternehmenssoftware. Hier gibt es richtige und falsche Antworten – sie müssen nur gefunden werden.

Der Schlüssel liegt in gründlicher Vorbereitung: Anforderungen sammeln, Alternativen bewerten, Experten konsultieren. Wasserfall-Projektmanagement zeigt hier seine Stärken, da eine sorgfältige Planung die spätere Umsetzung deutlich vereinfacht.

Komplexe Situationen: Lernen durch Experimentieren

Komplexität entsteht, wenn sich Ursache und Wirkung erst im Nachhinein erkennen lassen. Typische Beispiele sind Organisationsveränderungen, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle oder der Aufbau einer Führungskultur. Hier helfen weder Handbücher noch Expertenwissen – nur systematisches Ausprobieren führt weiter.

Die erfolgreichste Herangehensweise ist das iterative Vorgehen: kleine Schritte, schnelle Feedbackschleifen, kontinuierliche Anpassung. Hier entfalten agile Methoden ihre volle Kraft, weil sie für genau diese Unsicherheit konzipiert wurden.

Chaotische Zustände: Erst stabilisieren, dann verstehen

Im Chaos ist weder das Problem noch die Lösung greifbar. Solche Situationen entstehen oft durch Krisen, disruptive Veränderungen oder völlig neue Märkte. Der erste Impuls, mehr zu analysieren oder zu planen, führt hier in die Irre.

Stattdessen gilt: Handeln vor Verstehen. Durch schnelle, mutige Experimente schaffen Sie Klarheit und bewegen sich schrittweise vom Chaos in komplexere, aber handhabbarere Bereiche.

Methoden im Vergleich – und ihre Zone

Klassisches Projektmanagement / Wasserfall

Optimaler Einsatz: Bei komplizierten Problemen mit stabilen Anforderungen und planbarem Lösungsweg. Besonders wirksam, wenn Fehler teuer sind und Änderungen vermieden werden sollten.

Beispiele: Infrastrukturprojekte, Compliance-Umsetzungen, technische Implementierungen mit klaren Spezifikationen.

Kanban

Optimaler Einsatz: Bei komplizierten bis komplexen Systemen mit kontinuierlichem Optimierungsbedarf. Funktioniert gut, wenn das Ziel klar ist, aber der Weg flexibel gestaltet werden muss.

Beispiele: Support-Prozesse, Content-Produktion, Wartung und Weiterentwicklung bestehender Systeme.

Scrum / Design Thinking / Lean Startup

Optimaler Einsatz: In komplexen Kontexten mit hoher Unsicherheit, vielen Unbekannten und starkem Lernbedarf. Hier zählt iteratives Lernen, nicht perfekte Planung.

Beispiele: Produktentwicklung, Servicedesign, Innovationsprojekte, Kulturveränderung.

Die Matrix macht deutlich: Keine Methode ist per se besser. Sie ist nur passend oder unpassend zur Situation.

Praktische Orientierung für Ihren Arbeitsalltag

Wenn Stakeholder verschiedene Prioritäten haben

Das kennen viele: Ein Projekt steht an, aber die Beteiligten haben unterschiedliche Vorstellungen davon, was erreicht werden soll. Marketing will Reichweite, Vertrieb will Leads, IT will Stabilität.

Ihr Vorgehen: Workshops und Abstimmungsrunden, um ein gemeinsames Zielverständnis zu entwickeln. Erst wenn Einigkeit über das "Was" herrscht, lässt sich sinnvoll über das "Wie" diskutieren.

Wenn der Weg unklar ist, das Ziel aber feststeht

Sie wissen, was Sie erreichen wollen – etwa die Digitalisierung des Kundenservice – aber haben keine Erfahrung damit, wie das funktioniert.

Ihr Vorgehen: Klein anfangen, schnell lernen. Pilotprojekte starten, Feedback sammeln, schrittweise ausbauen. Agile Methoden sind hier Gold wert.

Wenn sowohl Ziel als auch Weg unklar sind

Solche Situationen entstehen oft bei grundlegenden Veränderungen: "Wir müssen uns digitaler aufstellen" – aber was das konkret bedeutet und wie es geht, ist völlig offen.

Ihr Vorgehen: Nicht in Aktionismus verfallen. Stattdessen systematisch Klarheit schaffen: Trendanalysen, Benchmarking, Prototyping. Schritt für Schritt vom Chaos zur Komplexität.

Die Transformations-Falle vermeiden

Viele Transformationsprojekte scheitern an einem fundamentalen Missverständnis: Sie werden wie komplizierte Projekte behandelt, obwohl sie komplex oder sogar chaotisch sind.

Klassische Symptome:

·       Umfangreiche Planungsphasen für unvorhersagbare Veränderungen

·       Suche nach der "einen richtigen Lösung" in mehrdeutigen Situationen

·       Widerstand gegen Anpassungen, weil "der Plan steht"

Die bessere Alternative: Ehrlich eingestehen, in welcher Zone Sie sich bewegen. Komplexe Herausforderungen brauchen experimentelle Herangehensweisen – auch wenn das zunächst unsicherer wirkt.

Abgrenzung zum Cynefin Framework

Die Stacey-Matrix und das Cynefin Framework verfolgen ein ähnliches Ziel: Sie wollen helfen, Problemkontexte zu erkennen und passende Vorgehensweisen zu wählen. Doch sie unterscheiden sich in ihrer Herkunft, Tiefe und Anwendung.

Die Stacey-Matrix ist pragmatisch und leicht zugänglich. Sie basiert auf zwei Dimensionen (Zielklarheit und Lösungsweg) und eignet sich gut für erste Einordnungen – insbesondere im Projektmanagement und bei methodischen Entscheidungen. Ihr Fokus liegt stärker auf Planbarkeit und Steuerungslogik.

Das Cynefin Framework hingegen ist systemischer gedacht. Es unterscheidet nicht nur zwischen kompliziert und komplex, sondern betont auch die Dynamik und Übergänge zwischen den Domänen. Es bietet Sprache für Unsicherheit, Ambiguität und emergente Muster – und fordert ein reflexives Führungsverständnis.

Kurz gesagt: Die Stacey-Matrix hilft bei der methodischen Orientierung. Cynefin hilft beim Verstehen des Systems. Wer beides kombiniert, kann situativ entscheiden und langfristig wirksam führen.

Rolle in der Transformation Discovery Map

In der Transformation Discovery Map ist die Stacey-Matrix ein zentrales Werkzeug zur Kontextklärung. Sie unterstützt dabei, die Ausgangssituation in der Dimension Adaptive Innovation oder auch Reaktionsfähige Strategie einzuordnen. Statt direkt in Maßnahmen zu springen, beginnt der Prozess mit der Frage: Was wissen wir über unser Ziel? Und wie sicher sind wir, wie wir dorthin kommen?

Das schafft Klarheit – und bewahrt Teams davor, komplexe Themen mit einfachen Mitteln zu lösen oder umgekehrt.

Die Matrix als Frühwarnsystem

Besonders wertvoll wird die Stacey-Matrix als diagnostisches Instrument. Sie hilft zu erkennen, wenn Projekte in die falsche Richtung driften:

Warnsignal 1: Das Team arbeitet mit Best Practices, aber die Ergebnisse sind unbefriedigend → Möglicherweise ist das Problem komplexer als gedacht.

Warnsignal 2: Endlose Planungs- und Analysephasen ohne greifbare Fortschritte → Vielleicht versuchen Sie, ein komplexes Problem mit komplizierten Methoden zu lösen.

Warnsignal 3: Ständige Konflikte über Prioritäten und Vorgehensweisen → Eventuell fehlt die grundlegende Einigkeit über das Ziel.

Fazit: Methodenklarheit ist Führungsklarheit

Die Stacey-Matrix ersetzt kein Framework. Aber sie hilft, besser zu entscheiden, welches Framework wann sinnvoll ist. Wer sich diese Klärung spart, riskiert nicht nur Ineffizienz, sondern auch Frust im Team. Gute Führung beginnt mit der Fähigkeit, Kontext zu lesen und daraus die passenden Arbeitsweisen abzuleiten.

Die Matrix erinnert uns daran, dass nicht jede Herausforderung planbar ist. Und dass nicht jede Unsicherheit durch mehr Analyse verschwindet. Manchmal ist der Mut zum Experiment der cleverste Plan.

Frage zum Weiterdenken: Welche eurer aktuellen Projekte behandelt ihr als planbar – obwohl sie eigentlich komplex sind?